Die Abenddämmerung stieg langsam aus den Bergen hervor und Xoxos Gedanken kreisten verworren und unentwegt suchend herum. Der Wein hielt sie halbwegs beisammen, sodass sie nicht durch das zermürbende Grübeln in Schlagseite geriet. Die Sternennächte waren zu dieser Jahreszeit sehr klar und hell. In dieser hellen Dunkelheit konnte man gut sehen, man benötigte kein Feuer, ausser um nächtliche Raubtiere abzuhalten. Menschen hingegen lockte jedes Feuer an, weshalb man es vermied. Der Zugang zur Felsklippe, die sie ansteuerte lag in einem Spalt im Fels hinter dichtem Buschwerk versteckt. Nur mit äusserster Mühe konnte man auch ein Pferd hindurchzwängen. Diesen Ort kannten nur sehr wenige und kaum jemand nahm sich Zeit diesen Zugang zu suchen. Sie fühlte sich deshalb hier sehr sicher, auch da sie alle Spuren verwischte. Hinabblickend am Klippenrand bot sich für Xoxo ein seltenes und beeindruckendes Lichtschauspiel vom herunten liegenden durchgehend bewaldeten Hochplateau. Die vielen Feuerstellen dort beleuchteten die Stämme, flakkerten die Äste hinauf bis hin zu den prächtigen Baumkronen, die das funkelnde Licht der vielen Feuerplätze mit ihrer Blätterpracht wie ein leuchtender Teppich wiederspiegelten und das wellige Dach des Waldes geheinnisvoll belebten.
Xoxo war inzwischen angetrunken vom Wein, sackte langsam zur Seite und schlief ein. Rauchgeruch zog ihre Nase zusammen und beendete ihren Schlummer. Sie blickte um sich. Nichts, niemand war da. Sie schaute in den Himmel, der bereits zum Morgen dämmerte, aber nun von sich teilenden Streifen und dunklen Rauschwaden, die durcheinander wirbelten, verhangen war. Erst jetzt sprang sie auf und lief zum Rand der Klippe, schaute ins vermeintliche Lichtermeer hinab. Sie meinte nun auch die Stimmen von tausenden von menschlichen Seelen wie ein Hintergrundrauschen zu hören, sah wie sehr es sich in ein schauriges Bild eines brennenden und dröhnenden Infernos verwandelt hatte. Immer wieder sah sie riesige Schwärme von Brandpfeilen von den links und rechtsseitig anschliessenden Anhöhen, die das Hochplateau umschlingen, in hohem Bogen herabschwirren. Die Anhöhen waren von den Feinden besetzt und sie hatten von dort teerige Feuerballen hinabgestürzt, die nun an den steilen Felsrändern entlang Feuerwände entfachten, die sich in den Wald hineinfrassen. Wie das alles möglich war, wollte sie nicht wissen, es roch nicht nur nach Feuer, sondern auch nach Verrat. Die Krieger, die versammelten Clans, versuchten der Feuerbrunst zu entfliehen indem sie zu den Hängen mittig vom Plateau strömten, da die seitlichen Auf- und Abgänge durch das Feuer bereits blockiert waren. Zu diesem mittleren Aufstieg zum Plateau rückte jedoch vom Tal bereits des Feindes ganzes mörderisches Aufgebot in voller Breite vor, an dessen Spitze schwere Kriegsnashörner eine zerstörerische Walze bildeten. Sie sollten alles zertrampeln, was sich ihnen entgegenstellte. Hier also würde sich die Schlacht ausrollen und wie ihr schien einem fürchterlichen Abschlachten gleichen. Die Übermacht des nahenden Feindes war unübersehbar, denn seine Truppen schwärzten den Horizont. Was lange als sicherer Hort schien, hatte sich zu einer gespenstischen Feuerfalle verwandelt und die einzige Möglichkeit dieser zu entkommen, war sich einem übermächtigen Aufgebot des Feindes entgegenzuwerfen. Dieser mußte nicht mühsam und verlustreich das hochgelegene Plateau steil und beschwerlich hinaufstürmen, sondern brauchte nur die vor dem Feuer fliehenden und hinabströmenden Massen niederringen. Die Sicht wurde immer schlechter durch den dichter werdenen aufstiegenden Rauch und Qualm.
Alle vorherige Trübsaal, würgende Bauch - und Gliederschmerzen waren ihr entschwunden, war von grenzenlosen Entsetzen und aufsteigender Wut verdrängt. Sie stand lange da, um das Ausmass der Katastrophe zu begreifen. Ihre Wut erstarrte in eisiger Verzweiflung über das, was sie sah und kühnste Rettungsmöglichkeiten und Fantasien erstickte. Nichts brach mehr wild aus ihr heraus, sondern grub sich kalt und todverheissend in ihr ein. Sie riss sich die leichte Rüstung vom Leib, warf sie den Abgrund hinab. Nichts sollte sie mehr mit diesem Ereignis verbinden ausser der unermesslich anschwellende Hass. Sie reckte sich nackt zum Himmel empor, auf Zehenspitzen, so als wollte sie zum Sprung ansetzen und sich schwungvoll wie ein Springer hinabstürzen in die Tiefe, doch sie dehnte ihren nackten Körper nun ganz weit in die Höhe. Sie verlor in keinem Augenblick das Gleichgewicht und wie aus einer statuengleichen Körperhaltung heraus begann sie ein stummes Gebet an alles was ihr heilig war, eine Beschwörung und stille Verheisssung für alles das, was noch kommen würde. Ihr aufpeitschender Hasse wandelte sich tiefgründigen Zorn gleich einer immerwährenden Sehnsucht nach Vergeltung. Es war, als würden alle ihre Träume in den grässlichen Flammen dort unten verzerrt. Es waren dort unten ihre Brüder und Schwestern, doch sie hatten sie ausgestossen wie eine schmutzige Hündin. Sie hatten sie nie geliebt, nur ausgenutzt und als ihre Taten soviel Heil und Gutes brachten, wuchs die vesteckte Missgunst und der Neid. Ihr war, als würde ein göttlicher Fluch über dieses falsche Pack herabsausen in Gestalt des Feindes, der doch vielmehr als ein Abgesandter der Hölle schien. Und sie rüstete ihre Seele, dieser Hölle zu begegnen, denn eine Niederlage war kein Untergang. Cimmerien würde neu auferstehen. Sie würde zu den Hochcimmerern ziehen und sich rächen für all diese Falschheit, die der Feind über alle gebracht zu haben schien. Es war wie ein grelles Blitzlicht, das ihre Haltung abrupt auflöste und sie nach hinten umwarf, sie aus ihren schamanistischen Verwünschungen riss. “Vajria,” sie sah ihr Bild, die geschundene stygische Gestalt wie lebend vor ihren geistigen Auge. Abgemagert und nackt. Obwohl ihres erbärmlichen Zustandes wirkte sie schön und edel. Und ihr Geist, der ihren gestrauchelten Blicken entwich, war ungetrübt und rein, voll reger Spannung und Wachheit. Vajria war ihre Gefangene, aber sie behandelete sie wie ihren Gast, ja wie eine Gefährtin. Und die Vertrautheit und seelische Nähe, die sie in so wenigen Tagen aufgebaut hatten, obwohl sie eigentlich sich als Feinde hätten töten müssen, war unfassbar. Jetzt fühlte sie sich für sie sogar verantwortlich. Was auch immer wahr sein sollte und über ihr Grausames gesprochen werden sollte, so war sie sicher, sollte sie erneut zu Kräften kommen und sich erholt haben, würde sie eines vereinen: der grenzenlose Hass auf die Skyther. Sie hatten beide ihr Volk verloren. Ob nun durch Tod oder Lüge oder Verrat, sie würden nicht ruhen, diese Schuld, dieses Verbrechen zu rächen.
Xoxo sammelte ihre Sachen zusammen und bepackte damit ihr Pferd. Schulterte ihre Waffen, deren Klingen sie jede sanft streichelte und sogar küsste so wie andere ihre Kätzchen liebkosten. Es wimmelte sicher von Feinden, doch sie hatte keine Angst. Im Gegenteil, sie brannte darauf ihnen zu begegnen, doch vermutlich würde das nicht passieren, da sie nur die geheimen Wege der Einheimischen nutzen wollte, denn wenn es jetzt eine Gefährdung für Vajria gab, dann waren es die der eigenen Cimmerer, diejenigen die vor der nahenden Schlacht voller Gier nach materieller Belohnung sie fangen wollten. Nun, sie würde sie aufspüren und töten bevor sie zurückfinden würden. Dann blickte sie noch letztes Mal hinab und sah, dass die Vernichtung ihres Volkes dem Höhepunkt entgegen trieb. Die massenhaften Schreie, die nun mit dem dichten schwarzen Rauch zum dunklen Himmel hinaufzogen waren entsetzlich, aber viel schlimmer das entfernte dröhnende Stampfen des Waffenganges. Sie wandte sich ab, denn diesem Gemetzel wollte sie nicht zuschauen wie ein schäbiger Schaulustiger, vielmehr spürte sie wertvolle Zeit zu verlieren. Es drängte in ihr aufzubrechen, denn Vajria schwebte in Gefahr und war jetzt der einzige Mensch, der ihr noch geblieben war.
Wie besessen ritt sie nackt, nur mit den kniehohen Stiefeln, Armschützern und geschulterten Waffen bekleidet die geheimen Wege und niemand war ihr begegnet. Sicher war der Zeitpunkt dafür günstig, jetzt wo die Schlacht ihrem Höhepunkt und alle Blicke des Feindes auf ihren Verlauf gerichtet waren. Sie mochte sich das entsetzliche Schreien der Kinder und Frauen nicht vorstellen, die verbrannten. Auch nicht, was ihnen in Gefangenschaft drohte. Alle, die noch überlebten, fielen in die Sklaverei. Sklaven der Skyther lebten vielleicht nur zwei, nur sehr wenige bis zu fünf Jahre, wenn sie nicht gefoltert wurden, so hatte Vajria ihr erzählt. Die Frauen wurden geschwängert und wie Vieh gehalten. Da die Skyther selbst keine Prachtbauten kannten, wurden die anderen Sklaven, die Männer und kleinwüchsigen Jungen für die niedersten und schwersten Arbeiten eingesetzt, meist beim Erzabbau in den Gruben und Stollen. Es war eine sklavische Marter.
Nach eiligen unentwegten Ritt stiess sie schliesslich aus dem Waldesrand hervor in Sichtweite ihres Zuhauses, der hoch gelegenen Höhle, auch wenn diese noch nicht sichtbar vom Fels verdeckt war. Wenige Meter auf der Wiese vor ihr lag eine Leiche und noch weiter dahinter eine zweite. Es waren Cimmerer. Sie trabte dorthin. Sie waren erschlagen. In einem steckte ein Wurfspeer. Die Spuren wiesen auf einen kurzen Kampf hin. Sie waren nicht ausgeplündet. Es waren Cimmerer aus dem Heerlager. Doch der Speer, der in ihnen steckte, war kein fremdländischer oder skythischer, sondern ein cimmerischer. Die Gier hatte sie wie von ihr angenommen in Bewegung gesetzt. Doch anscheinend war noch jemand damit nicht einverstanden oder sie hatten sich untereinander zerstritten. Ja, Beolg hatte sie belogen und bereits einen Preis auf Vajria ausgesetzt. Es führten weitere Hufspuren nach oben, denen sie nun folgte. Es müssen mindestens fünf Reiter gewesen sein. Die Spuren verrieten nunmehr, was vor sich ging. Einer von ihnen schien nicht zu ihnen zu gehören und machte Jagd auf sie. Xoxo grinste. Sie hoffte sofort darauf, dass es einer ihrer alten Clanfreunde war. Nun als sie noch näher dran war und die letzte Steigung zum Höhlenaufgang vor ihr lag, sass sie ab. Das Pferd blieb zurück und Xoxo ging vorsichtig weiter.
Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich Wallax vor ihr auf und schrie wie übermächtig und kraftstrotzend in brutaler von Blut verschmierter Gestalt: “Nimm das, du Hure!” Der Schlag seiner Lanze traf sie, ratsche sie jedoch nur und sie liess sich instinktiv fallen. Er schlug ein zweites Mal nach, sodass sie wegrollen mußte, sich aber am Rand des Wegessaumes nicht mehr halten konnte und einige Meter tief das Geröll hinabstürzte. Er sass sofort auf das ihm folgende Pferd auf, auf einem zweiten Pferd hatte er Vajria drübergepackt. Sie war geknebelt und gefesselt wie ein Gepäckbündel, regte sich nicht, schien bewusstlos. Er sah feixend zu Xoxo hinab. Sie lag dort unten vom Sturz schwer angeschlagen regungslos an einer spitzen Felsecke umgeben von dichten Buschwerk. Er ritt hinunter, blickte aus einiger Entfernung erneut zu ihr hin. Er war zunächst unentschlossen, doch nun stand für ihn fest, sich ihres Todes zu vergewissern und nachzuschlagen. Eine Verfolgung konnte er sich nicht leisten, die Skyther hatten ihm die fünffache Summe geboten. Würde er Vajria lebend bringen, würden sie sein Leben verschonen. Sie brauchten ortskundige Führer. Er war sichtlich etwas stolz, die so gefürchtete wilde Xoxo so einfach niedergeworfen zu haben. Ja, Überraschung war sein Element. Sie hatte den Tod verdient. Zeit sich an ihr zu vergehen, hatte er nicht mehr. Lust dazu auch nicht, das war vorher schon erledigt. Er sass ab, zog seine Axt und ging festen Schrittes auf Xoxo zu. Xoxo war noch schwer benommen, als sie zu sich kam, sah wie Wallax sich näherte mit einer pendelnden Axt und einem fürchterlich breiten Grinsen, was ihr den sicheren Tod verhiess. Sie lag auf dem Rücken, war aber noch steif, konnte sich nicht rühren, sie schloss ihre Augen. Es schien wie eine Ewigkeit, aber es passierte nichts. Es herrschte die Stille, als würde ein schweres Loch in der Luft hängen. Es war die Stille, die sie von der Jagd zu gut kannte, die unheimliche fesselnde Stille der lauernden unmittelbaren Bedrohung durch etwas unnahbares und Starkes. Sie entschloss sich dazu ihre Augen zu öffnen und sah Wallax wie angewurzelt nur noch sechs Schritte von ihr entfernt. Verdammt, er zitterte sogar, er zitterte voller muskulärer Anspannung, jede Sehne, jeder Musekel war voll angespannt und seine Augen waren im Anlitz der unheimlichen Bedrohung eng und konzentriert zusammengezogen. Doch es schien es lief ihm auch ein Schauer über den Rücken, den er nicht offen zeigen konnte. Sie rührte sich ebenfalls nicht, denn es war klar, dass etwas sehr grosses oder gefährliches und nicht menschliches hier bei ihnen lauerte. Die lähmende Bewegungsstarre vom Sturz war von ihr gewichen und sie fühlte, sie konnte sich wieder rühren. Tat es aber nicht. Von hinten näherte sich etwas furchtbares und sie spürte dessen ausströmende Wärme und ein Atem, der einem tiefen Schnaufen glich. Es stand offenbar nun ganz nahe bei ihr angekommen direkt neben ihr. Sie erkannte den Geruch. Plötzlich schnupperte es an ihrem Körper und sie war sich im Klaren, was es war - ein riesiger Säbelzahntiger. Er leckte mit seiner rauhen Zunge ihre nackte Haut an einer Wunde entlang, biss aber nicht zu, sondern hob den Kopf in den Nacken und brüllte jetzt ganz mächtig. Ja, der Säbelzahn betrachtete sie als seine Beute und Wallax hatte nicht das Recht ihm diese zu nehmen. Für einen Säbelzahntiger war die Welt sehr einfach, es gab nur einige monströse Höhlenbären und Wollnashörner, die es mit einem voll ausgewachsenen Säbelzahntiger aufnehmen konnten. Wallax bewegte sich noch immer nicht, versuchte ganz langsam zurückzuschleichen. Jede abrupte oder schnelle Bewegung hätte einen Angriff provoziert und es kam jetzt darauf an, langsam Distanz aufzubauen und Zeit zu gewinnen. Doch der Säbelzahn senkte sich, schüttelte den Kopf, knurrte drohend, dann schleckte er, als hätte er kein Interesse mehr an einen Kampf, seitlich über Xoxos Schulter bis hin zu ihren Brüsten, doch dann brummte er wieder und fauchte schliesslich bestialisch, so wie es alle Raubkatzen tun, wenn sie ihre Beute beschützen und Fressdiebe davonjagen wollen. Am Ende verhalten sie sich so, dass man nicht mehr weiss, wie sie sich verhalten, dann schlagen sie zu. Es wurde unerträglich laut und seine Speichel von den fletschenden Zähnen splatschte auf Xoxos nackten Körper hernieder. Sie regte sich nicht, stellte sich tot, vermied den Blickkontakt zu diesem mächtigen Tier, das sicher spürte, dass sie noch lebte. Sie war warme lebende Beute, das sich dem Schicksal ergab. Für einen kurzen Moment wagte es Xoxo hinaufzuschauen. Es war wirklich ein Riese von einem Säbelzahn, ein sehr starkes und voll ausgewachsenes Weibchen, weit grösser und schwerer als die, die Xoxo im Kampf besiegt hatte, so unermesslich mächtig. Wozu sollte es sich in Xoxo verbeissen, wenn sie als Beute vollkommen sicher war.
Es suchte nach schneller Nahrung für die Jungen, die bestimmt nicht sehr weit weg waren. Es würde sie wegschleppen und ihren Jungen zum Spielen hinwerfen. Die jungen Raubkätzchen mußten töten und jagen lernen, spielten häufig mit der lebendigen Beute, so wie Katzen es mit Mäusen tun. Für das Opfer ein schreckliches Spiel. Dann völlig überraschend und doch seit langem erwartet, erfolgte der brüllende und gewaltige Sprung, der die Steine fetzen liess. Es war ein ungeheurer wuchtiger Zusammenprall, ein kurz auftosender Kampf. Der Säbelzahn war sehr schwer und seine wirbelnde Bewegungswucht gewaltig. Die rasend schnellen Prankenhiebe erschütterten den Boden, tauchten alles in einen staubigen Nebel. Xoxo fühlte sich völlig leer und ausgeliefert, erfasste aber ihre Chance und rollte schnell zur Seite. Nur weg von hier, war ihr einziger Gedanke, Ihre geschulterten Waffen berührte sie nicht einmal, denn bei einem solchen Ungeheuer war alles vergebens. Eine dichte Staubwolke verdeckte das grausige Geschehen. Von Wallax sah sie nichts mehr, dann schliesslich seine Beine, er war in seinem übermächtigen Gegner mit seiner Axt verkeilt, doch bereits leblos. Es gab keinen einzigen Schrei. Seine Axt hatte er in den Säbelzahn hineingetrieben, aber nicht an einer tödlichen Stelle. Für den Säbelzahn schien es eine Wunde von vielen aus zahllosen Kämpfen mit Beutetieren oder Artgenossen. An dieser Wunde würde er nicht zugrundegehen, auch wenn sie heftig zu bluten schien. Und wenn, erst viele Tage später. Der Säbelzahn hatte bereits den Arm herausgelöst, dieser hing aber noch an den Schulterknochen herunter und sich in Wallax Nacken gebissen, hob nun ruhig seinen Körper hinauf, schüttelte den Kopf hin und her, um das Genick zu brechen. Die bluttriefende Beute, einen gefürchteten Krieger, hielt der Säbelzahn nun hoch, so federleicht schien es, als würde dieser starke Mann nichts wiegen. Dann verschwand er so abrupt, lief so schnell und lautlos wie er gekommen war. Xoxo hatte sich schon ein weites Stück entfernt und riss sich hoch, rannte schnell zur Höhle, wohin die Pferde geflüchtet waren. Sicher würde der Säbelzahn wiederkommen, um nach ihr zu sehen, vielleicht auch nicht. Sie war nun gewarnt und wusste ihn mit Fackellicht fernzuhalten. Sie verzogen sich dann nach einer Weile, suchten andere Beuteplätze auf.
Dort am Eingang ihrer Höhle roch es nach Tod, lagen drei weitere Leichen, erschlagen im Kampf und wenige Meter entfernt sah sie den nackten Körper einer Frau. Ihre Lederrüstung lag um sie verteilt herum, man hatte sie ihr regelrecht vom Leib gerissen. Es war eine cimmerische Kriegerin. Sie atmete heftig, ihre Arme und Beine waren mit einem Strick hinter dem Rücken gebunden auf dem sie nach oben gerichtet lag. Die Arme und Schenkel waren von Brüchen geschwollen. Wallax hatte sie brutal gefügig gemacht und vermutlich hatte Xoxos Erscheinen sie vor dem lebendigen Ausweiden bewahrt. Er hatte sie vergewaltigt und ihren Widerstand, jede widerspenstige Bewegung durch das Brechen der Knochen erstickt. Xoxo entschied sich, zuerst nach ihr zu sehen, da sie bereits um ihr Leben rang, schaute in diesem Augenblick zu Vajria rüber, die noch bewusstlos am Pferd herabhing. Sie war jetzt in Sicherheit. Dann ging sie knieend in die Hocke, beugte sich über die Fremde. Xoxo durchtrennte zunächst den Strick, der die Haare mit den Füssen am Rücken verband und sie in eine nach hinten verkrümmte Zwangslage gebracht hatte. Ganz vorsichtig berührte sie ihre Wange, strich ganz fein daran und an ihrer Stirn entlang. Die Fremde öffnete ihre Augen, atmete weniger heftig, schien sich etwas zu beruhigen. Es war ein reiner trostloser Tunnel des Unglücks, dem Xoxo entgegensah. “Töte mich," flüsterte sie. "Erlöse mich, ich bin nicht ich. Lass mich nicht elendig zugrundegehen wie ein Stück Aas.” Sie blutete noch immer zwischen den Beinen aus dem Unterleib und es hatte sich eine grosse Blutlache gebildet. Er hatte sie brutal gefistet. Dem Blutverlust zu urteilen, hatte sie nur noch wenig Zeit. “Du bist sehr tapfer, du hast sie fast alle ganz allein getötet." Ein schmerzverzerrtes Lächeln huschte über das Gesicht der Fremden. "Dein Name ?" ”Uoni, vom Yakhmar-Clan, bitte übergebe ihnen meine Asche. Sie werden es dir danken. Ich habe sie alle geschafft, die Schweine, aber für ihren Anführer hat es nicht mehr gereicht. So hat er von mir alles genommen.” “Er ist nicht mehr, ein Säbelzahn hat ihn gerissen.” Die Femde lachte jetzt bitter auf, doch Zittern würgte es ab, dann biss sie sich auf die spröden Lippen. “Wicca hat mich erhört. Ein grausamer Tod. Bist du Xoxo ?” “Ja” “Hast du die Stygierin ?” “Ja, sie ist hier bei mir.” “Ich sage dir ihren wahren Namen. Sie heisst Vajria und ist eine uralte stygische Wesenheit und wurde von einem uralten Gott entsendet. Ich warne dich. Nimm dich in Acht. Sie tut dir nichts, weil sie dich braucht und geschwächt ist, aber sie ist gefährlich. Die Mitraner sagen, sie sei ein Ungeheuer. Doch niemand weiss, was wahr ist oder Lüge. Ich wollte sie nicht ausliefern, aber ich wollte sie zur Rede stellen, denn sie weiss Dinge, die vergessen sind, aber unser Leben wie ein Schicksal bestimmen. Ich habe die anderen verfolgt. Dich habe ich gesucht, aber nicht gefunden. Er wollte sie an die Skyther ausliefern. Er hat es mir gesagt wie sovieles. Er ist so erbärmlich dumm und doch hat euch alle verraten. Und doch hat er mich besiegt.” Die Fremde hustete und kalter Schweiss rann über ihre Stirn. “Komm beuge dich zu mir, es gibt ein Rätsel, dass Vajria entlarvt und das Tor zur Wahrheit öffnet. Ihr Gott gebietet ihr als Wesenheit diese Wahrheit zu bewahren, sodass niemand sie erfährt. Töte sie, wenn sie diese Antwort dir verschweigt, denn sie muß antworten, weil es ein Rätsel ihrer Gottheit ist." "Komm," dabei blinzelte sie als Zeichen des Vertrauens und um es in Ohr zu sagen. Xoxo beugte sich tiefer ganz dicht herab. Während die Fremde ihr das Rätsel, eine Frage aufgab, starb sie, die richtige Antwort nannte sie nicht.
Wallax hatte sie als Krüppel ausblutend liegen gelassen. Sie mußte eine grosse Kriegerin gewesen sein eines ihr unbekannten Stammes aus dem Hohen Norden Cimmeriens, auch die Eiswüste genannt. Sie war schön und hatte ganz weisse Haut, azurkristallend blaue Augen und schwarze Haare. Xoxo schwor ihrem Wunsch dem Clan die Todesnachricht zu überbringen, denn sie hatte es allein vermocht Vajria zu retten. Dieses miese Schwein von Wallax, sie hatte sich von ihm noch die Tage ficken lassen, nun ekelte es sie fürchterlich an, dass sie sich schmutzig fühlte, hatte Vajria ausliefern wollen und er auch verantwortlich für den kriegerischen Verrat, der die vereinten Stämme in einem Flammenmeer untergehen liess. “Dieses verfluchte Stück Scheisse, dieses ungeheure Stück Dreck!" Sie fluchte, spuckte aus zur Seite, brach trotz des aufschiessenden Grolls ihre dunklen Gedanken ab, richtete den Kopf der Fremden und schloss ihre Augen, dann stand sie auf, verbeugte sich “ehrenvoll wirst du zu deinen Göttern fahren. Du wirst brennen, wie es sonst nur die grossen Clanführer tun.” Dann wandte sie sich dem Pferd zu, an dem Vajria herunterhing, noch immer ohne Bewusstsein oder betäubt. Sie löste ihre Fesseln, sie war unverletzt, d.h. es waren keine neuen Wunden dazugekommen, ausser vom Niederschlag an der Stirn eine frische Kopfwunde, die noch sickerte. Sie hielt ihre kleinwüchsige magerknochige Gestalt in ihren Armen und drückte sie fest an sich, denn sie war warm und lebte. Dann rüttelte sie sie sanft, immer wieder und klapste ihr links und rechts auf die dünnen Backen. “Komm schon, sag endlich was.” Xoxo schossen bereits die Tränen hoch. Vajrias Augen blickten sie an und sie lächelte, als sie Xoxo erkannte:“Wo sind wir?” “Wo wohl? Hier bei mir, in unserer Höhle.” “Du hast überlebt und mir erneut das Leben gerettet. Wie soll ich dir jemals danken? Habt ihr die Schlacht gewonnen?” “Nein, alle sind zu Crom gegangen und ein Verräter wollte dich den Skythern ausliefern. Er hat alle hintergangen und sie in den Feuertod getrieben. Er war mein Freund. Ich hatte ihm vertraut. Wir alle. Der, der dich schon damals tobend töten wollte. Er hat dich verschont, wollte dich unversehrt verkaufen.” Vajria sah die eiserne bittere Enttäuschung in den Augen Xoxos. “Ja, er war es. Bist du geflohen ?” "Nein, sie haben mich ausgestossen. Es ist alles schiefgelaufen." Und nach einer kurzen Pause, "Wegen mir?” Xoxo schaute nur auf den Boden. "Ich habe es geahnt, hatte solche Angst um dich." Vajria richtete sich auf, drehte sich um die Achse, fasste an die Kopfwunde, betrachtete das eigene Blut an den Händen und streifte sich an den Armen und Beinen ab. “Und du hast nicht widerrufen?” “Nein. Wir haben ihr, Uoni, unser Leben zu verdanken, denke ich. Einer fremden cimmerischen Kriegerin, die uns nicht kannte, doch das wenige, was sie mir noch gesagt hat, zeigt mir, dass sie besser war, als alle anderen, die ich kannte.” Vajria blieb stumm, nickte, dann sagte sie nur: ”Sie hat gekämpft wie ein Berserker. So wie du, doch sie war zu erschöpft um gegen ihn zu bestehen. Er war brutal. Ich habe es mitangesehen. Irgendwann verlor ich dabei das Bewusstsein. Hast du ihn bezwungen ?” "Nein , ein Säbelzahn hat ihn gerissen, ich war schon dem Tode nah, war gestürzt und gelähmt. Er wollte mich erschlagen. Und er hätte es getan, wäre der Säbelzahn nicht erchienen." - "Deine Götter haben dich beschützt und den Säbelzahn entsendet." Und nach einer kurzen Pause. "Du mußt rasch zu Kräften kommen, wir beide müssen uns die nächsten Tage schonen und stärken. Ehrlich gesagt, mir tun alle Knochen weh und wir müssen unsere Wunden richtig auskurieren. Aber noch vor dem Winter müssen wir nach Norden zu ihrem Clan und auch wieder zurück sein. Wir sind dann sicher gute vier Wochen fort. Du hast fürs Anfressen also nicht gerade sehr viel Zeit, kriegst dafür von mir die ganz fetten Abschnitte." Xoxo grinste breit während Vajria eine Fratze zog. "Ich esse kein Fett, auch wenn ich sterben muß." "Du kriegst das beste Fleisch, das Cimmerien dir bieten kann und welches sonst nur Krieger bekommen. Den Winter verbringen wir hier, niemand kommt hierher dann. Im Frühjahr brechen wir auf und ziehen nach Aquilonien." "Etwa nach Tarantia ?" Vajria wurde von sichtlichem Unbehagen erfasst. "Ja. Dir geschieht nichts. Ich bringe dich unter. Ausserdem laufen da in bestimmten Vierteln viele Stygier rum, das ist keine Seltenheit. Allerdings fast alle unfrei, also Sklaven, Diener des Adels. Aber da fällst du nicht auf im Gesindeviertel. Und schlimmer, wo es hier bald nur noch von Skythern nur so wimmelt, wird es keinesfalls sein. Du wirst dort meine Tochter kennenlernen und ich bin gespannt auf eure Begegnung. Sie ist eine angehende Mitrapriesterin.” - “Oh, nein,...” - Während Vajria die Hände über den Kopf zusammenschlug und sich bestürzt zeigte, begann Xoxo vergnügt an zu lachen und zu gackern. “Ihr werdet euch verstehen, verraten wird sie dich nicht. Sie ist meine Tochter. Nichts, was mir heilig ist, wird sie mir jemals nehmen und ich ihr auch nicht. Sie ist noch jung und wunderschön. Sie ist schwärmerisch und wenn sie etwas mag, dann ist es Weisheit, ganz gleich aus welchen Quellen. Und davon kannst du ihr mehr als genug geben, das weiss ich. Cyantia wird uns sogar helfen, denn was uns geschehen ist, ist so unglaublich, dass es einfach wahr sein muß.” Vajria sah den ganzen Stolz, der aus Xoxo nur so heraussprudelte, wenn sie von ihrer Tochter sprach. Vajria wurde bewusst, dass sie nun bald - noch vor der Abreise - ihre ganze Geschichte und ihr Geheimnis lüften mußte, um ein Zerwürfnis, einen Bruch zu vermeiden. Nur wie sollte sie es anstellen, denn eine Mitrapriesterin war per Gelübde dazu gezwungen sie - sofern ihre Identität gelüftet war - der Priesterschaft zu melden. Man würde sie festnehmen und ihre Tortur würde von neuem beginnen. Sie mußte Xoxo aufklären bevor sie mitranischen Boden erreichten, denn Xoxo wusste von allem nichts oder dachte gar das alles zu ignorieren. Es war ihre barbarische Natur über solche Dinge nicht viel Zeit mit Grübeln zu verschwenden. Ihre Tochter war verpflichtet so zu handeln oder sie würde aus der Priesterschaft ausgestossen und selbst einer Anklage entgegensehen. Unsinnigerweise mochte sie Xoxo zu sehr, empfand bei ihr Geborgenheit, sogar tiefe Zuneigung, wie sie es seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt hatte. Sie war weich geworden, was sie nicht verstand. Ausgerechnet hier bei den Wilden, den Barbaren auf eine primitive Jägerin zu stossen, die ihr mehrmals das Leben rettete, nichts dafür verlangte als Freund- und Hilfsbereitschaft, ihr Wissen teilte und sogar bereit war dafür ihren Stamm zu verlassen, das war unmöglich. Das war doch wie im Tollhaus. Viel zu verrückt. Zugleich wusste sie auch, dass sie selbst nicht mehr die Gleiche war, sondern dass die Torturen der skythischen Gefangenschaft sie verändert hatten. Es schien ihr, als sei sie weich geworden, hörte auf ihr Herz, obwohl sie ein Verstandesmensch war. Diese Möglichkeit sich selbst, den eigenen Gefühlen völlig ausgeliefert zu sein, machte ihr Angst. Und zugleich war es ihr gleichgültig, was möglich oder nicht möglich war. Es würde geschehen. Ihr Verstand liess sie nachhaken: "Willst du mich ausliefern ?" "Niemals, du gehörst doch zu mir. Zu oft habe ich während der letzten Tage an dich gedacht. Nicht als Gefangene, auch nicht mehr als unfreiwilliger Gast, sondern als Gefährtin. Ich weiss sehr wohl um den Zwiespalt einer Begegnung Cyantias mit dir, aber vertraue mir, ich wünsche nur, dass du sie teilhaben lässt an deinem Reichtum uralten Wissens, was sie nirgendwo in Aquilonien finden wird, nicht nur weil es verboten ist, sondern unterging vor langer Zeit. Glaube mir, ihr werdet beide eure Zusammenkunft überleben." Im Innern ihres Herzens war Vajrias Verstand nun gefangen und ihre Stimmung hellte sich weiter auf, sie zog spitz ihren Mund zusammen und ihre feinen Augenbrauen entspannten sich. Sollte sie sich in dieser Barbarin geirrt haben und wusste sie mehr über die uralten Mysterien, als sie verriet? Oder war es nur einen Ahnung von etwas Verborgenen ? Sie fand jedenfalls zunehmend Gefallen an dieser womöglich ketzerischen Idee. "Sag, was ist es, dass dich zu diesem wahnsinnigen Einfall treibt ?" Xoxo antwortete sehr nüchtern: "Nichts als die Wahrheit, auf deren Suche nicht nur meine Tochter ist. Auch wir, du und ich, wollen Gewissheit. Und uns vereint die Rache gegen einen Feind, der uns alles, aber auch wirklich alles genommen nachdem er die Sinne vergiftet hat. Nur unsere Seele nicht. Sie sind rein und er ahnt nicht, dass sie nun noch viel klarer sehen mit jedem Leid und mit jedem Verlust, den er uns zufügt. Es ist soviel unendlich Blut für die Lüge vergossen, sodass es nicht schadet und auch kein Verbrechen ist, es auch für die Wahrheit zu tun. Und du Vajria wirst nicht nur an unserer Seite stehen, du wirst zu uns gehören. Und wir geben dich nicht preis. Wer dich berührt, kann zu den Göttern beten."
Xoxo kam zum Ende:"Wir tun also nichts anderes, als ein altes Sprichwort verlangt: Wenn du die Wahrheit suchst, gehe hin, wo die Lüge zuhause ist."
Xoxo kam zum Ende:"Wir tun also nichts anderes, als ein altes Sprichwort verlangt: Wenn du die Wahrheit suchst, gehe hin, wo die Lüge zuhause ist."