"Am Ziele deiner Wünsche wirst du jedenfalls eines vermissen: dein Wandern zum Ziel."


"Am Ziele deiner Wünsche wirst du jedenfalls eines vermissen: dein Wandern zum Ziel." - Marie von Ebner-Eschenbach

Molon Labe versteht sich als privates Story- und Fansite-Projekt des von dem fantastischen Erzählwerk Robert E. Howards inspirierten Massive Multiplayer Onlinegame Age of Conan.

Vor allem ist es ein Schreibprojekt von Geschichten rund um die gespielten Charaktere, angeregt durch das Spielgeschehen Hyborias in Age of Conan wirkt es schliesslich in einer eigenen fantastischen Welt vorantiker archaischer Zeit - ganz im Stile von Sword, Sex and Sorcery.


Sämtliche Veröffentlichungen sind Entwürfe oder Manuskripte, also unfertig. Es geht dabei nicht um literarische Meisterschaft, sondern um das einfache Erzählen mithilfe des Schreibens.

"Aus den Trümmern unserer Verzweiflung bauen wir unseren Charakter." - Ralph Waldo Emerson




Seiten

Belite, die Eroberin - Hohe Dienerin Mitras


Hier entstehen die Geschichten um Belite, eine sagenhafte Gestalt uralter Legenden grauer Vorzeit.

Eine Kriegsamazone, selbstsicher und unabhängig, die einzige weibliche Primus Centurio des Blutordens der Mitraner in einer brutalen männlichen Welt der Gier nach Macht durch Unterdrückung und Unterwerfung.

Belite ist gütig und liebevoll, tugendhaft und aufrichtig. Freiheit und Gerechtigkeit gehen ihr über alles.

Belite betet Mitra an, die ihr schliesslich auf fernen Reisen in einer Vollmondnacht erscheint, ihr das wahre weibliche Anlitz der Naturgöttin zeigt und sie zu ihrer Erleuchteten im ewigen Krieg gegen die dunklen Mächte der Unterwerfung und Zerstörung macht.

Einsam, aber nicht allein tritt sie für die Schwachen, Armen und Wehrlosen ein, wird aber von diesen als unheimliche Bedrohung angesehen, denn dort, wo sie Magie und Schwert hinführen, gerät die alte Ordnung aus Betrug und Falschheit aus den Fugen.

So wird aus ihr eine einsame Abenteurerin im Zwiespalt mit der Welt und im Ringen mit den beherrschenden Mächten. Deshalb erscheint sie verflucht, verfolgt, ist ihrer Bestimmung und ihrem Schicksal ergeben.

Belite ist die Keimzelle für eine kleine eingeschworene Gemeinschaft voller Sehnsucht und Hingabe, junge und eigensinnige Gefährtinnen, die ihr in freiem Willen ergeben sind und gemeinsam mit ihr traumhafte Momente der Glückseeligkeit und tiefgrausamen Qual erleben sowie in wundersamer Weise todesmutig für das Gute eintreten - bis zum Untergang.

Es gibt kein Entrinnen oder Erbarmen. Unerbittlich gibt es nur eine Entscheidung: Gut oder Böse - Leben oder Tod !

Freitag, 4. Januar 2013

Belite VIII: Errettung

"Meine Erinnerungen, meine verdammten Erinnerungen," fluchte sie während sie sich herumwälzte und hochriss: "Oh, was habe ich schrecklich geträumt. Von meiner Vergangenheit. Wahre schreckliche Erinnerungen, die mich als Albträume heimsuchen. Wie kann das alles nur sein ?"  Sie stand nun auf, sehr erregt und durchgeschwitzt. Zog nichts mehr über, hob nicht einmal die Kleidungsstücke auf, geriet in innere Unruhe und flüsterte vor sich hin:  "Bei Mitra, hab obacht und eile geschwind, andernfalls dir eine Seele entrinnt."  Sie ergiff den Speer zum Abstützen, humpelte hastig zur Höhlenöffnung, wurde dann immer schneller und verschwand im Dunkel der Höhle.

Im Innern der Höhle angekommen, sah sie zu Nawatu rüber, wie immer neben Turiya hockend, ein leises Lied summend, ihre kleine Schlange schlängelte um ihren Hals und genoss die Wärme und das leichte vibrieren ihrer Haut durch den Gesang, ringsum eingekreist vom Fackelschein. Turiya wälzte sich im Fieber, schrie manchmal auf und fiel ohnmächtig wieder zusammen. Belite eilte nun direkt zum Proviantlager, zerwühlte alles. Da war es. Endlich. Sie atmete tief durch. "Wehe, Clementius, wenn das eine tödliche Falle ist, eine deiner üblichen Gemeinheiten, ich hole dich aus dem Reich der Toten zurück und du wirst Qualen erleiden, nicht so leicht davonkommen, dann rotte ich deine Familie aus - jeden - sobald ich aquilonischen Boden unter den Füssen verspüre. Bei Mitra, Clementius, das sind keine leeren Versprechungen. Und ich halte mein Wort."

Das Bündel war tief in einer Beuteltasche eines Gepäcksackes verstaut, aber als sie alles für ihre Flucht zusammensuchten und hektisch verstauten, fehlte der Überblick. Es galt alles Wichtige überhaupt mitzubekommen. "Verflucht, aber wenn es ein Segen ist, dann sei dein Tod Erlösung. Aber Vergebung, die erhältst du nicht. Niemals !" Belite fluchte verwünschend immer lauter vor sich hin. " Jetzt weiss ich, warum die Götter bei Mitra so still und zurückgezogen sind. Sie haben nichts vergessen, sondern sehen mich in der Pflicht. Wenn ich aber vergesse, nicht einlöse, was ich vermag, so ist es wahrlich kein Wunder. Da kann man ewig beten und flehen. Doch sagt mir, was hat Turiya euch getan ? Sie wusste nicht von alledem ? Bei Mitra, welch verfluchte Welt habt ihr geschaffen !" Nawatu kam von den Flüchen und dem hektischen Verhalten Belites aufgeschreckt zu ihr gerannt. Was war auf einmal mit ihr los ? Sie schaute auf das angerichtete Chaos, viele Sachen waren weit verstreut, Säcke und Beutel aufgerissen. "Was machst du da ? Bist du des Wahnsinns, drehst du jetzt durch ?" "Sei still sag ich !" zischte Belite sie wütend an. "Bei Mitra, halt einfach mal die Fresse." Schon schien sie wieder besserer Laune, dann hielt Belite das grosse Gebinde mit beiden Armen hoch. Nawatu guckte sie zerknirscht, beleidgt und widerwillig an. "Bei Mitra, Turiya wird leben!"  Belite strahlte plötzlich über beide Wangen hocherfreut wie eine Sonne und stellte das Gebinde vor Nawatus Füsse und legte beide Hände mit ausgestreckten Armen auf Nawatus Schultern. Die ungläubigen Blicke Nawatus besänftigend fuhr sie fort: "Verzeih mir. Los komm." Sie liefen beide zum Lagerfeuer. Belite las aus den beigefügten Tontäfelchen vor und Nawatu nahm die Schalen und füllte diese mit den verschiedenen Pulvern und Ölen, verrührte alles mit Öl, Essig und Wasser je nach Anweisung. In der grössten Schale war ein Brei entstanden, in der anderen glich die Masse einem Gelee und die Mischung der dritten Schale blieb ölig klar. "Was ist das für ein Zeug ? Wo kommt es auf einmal her ?" Belite stand unter Anspannung, wendete sich aber Nawatu zu: "Ich habe es vergessen und habe es von einem aquilonischen Arzt der es aus dem fernen Osten erhielt. Es war das Letzte was er gab." Nawatu konnte an der Meine Belites genau ablesen was geschehen war. "Du hast einen Arzt getötet ?" Belite konzentrierte sich wieder auf die Heilmittelzubreitung. "Leben nehmen, heisst Leben geben." Nawatu spürte, das da jetzt nicht mehr kommen würde und fuhr fort: "Und du meinst, es rettet sie ? Wirklich?" Belite blickte nun in das traurige Gesicht Nawatus. Nawatu war so tapfer und treuherzig, wie kaum jemand, den sie zuvor getroffen hatte, obwohl die Hoffnung ihren Geist verlassen hatte, hielt ihre Seele an der Hoffnung felsenfest. Belite richtete sich auf. "Wir werden sehen. Es ist klar, eine weitere Chance sehe ich nicht, aber wir werden sie nutzen. Warum ich erst durch bittere Träume darauf kam und diese Möglichkeit die ganze Zeit der Wachheit vor meinen Füssen wie verschüttet lag, das wissen nur die Geister und Götter. Sie stellen uns immer wieder auf die Probe, ja sie spielen mit uns, doch ich sage ihnen, ich bin es langsam leid, dann machen wir es eben umgekehrt." Belite grinste verschmitzt und verwegen. Nawatu blickte glasig, wirkte verloren und ihr Mund war völlig offen. "Hab keine Angst, sie sind wieder nah. Ich spüre es. Die Götter kommen wieder und es ist nicht unser Ende. Und Turiya ist auch nicht am Ende. Und wir auch nicht oder sind wir bereits tot ?" Nawatu schaute sie zweifelnd an. "Na, komm schon, du lebst und wie du lebst, viel stärker als je zuvor, ich habe es mir nie träumen lassen. Denn jede Tat war Liebe und gab Leben, auch vom Tod begleitet. Wie geht es Turiya jetzt ?" "Sie war die ganze Nacht wie sonst auch. Mal liegt sie rühig und leblos als wäre sie tot, dann stöhnt sie wühlend vom Fieber geplagt wie vom Wahnsinn ergriffen. Ich halte sie dann fest. Dann singe ich und sie beruhigt sich wieder. Es ist alles wie unverändert." "Sie hört dich. Und sie liebt dich, denn dein Summen und dein Gesang erreicht sie, ja erlöst sie von der Pein. Trotz ihrer Krämpfe und des Fiebers. Sie wird gepeinigt von ihren Träumen. Ich kenne das von meinen schweren Verwundungen. Vieles aus dem tiefsten Inneren bricht dann auf. Überlebt man es, stellt sich das neue Leben anders dar. Manchmal denke ich, man muß fast tot sein, ja bereits gestorben sein, um das Leben wirklich zu begreifen. Und je häufiger das passiert, desto mehr versteht man davon. Aber desto weniger wird man von den anderen verstanden. Ist das nicht wahnsinnig? Welcher wahre Gott denkt sich sowas aus ? Wir holen Turiya ins Leben zurück und sie wird mächtiger sein - um eine Todeserfahrung reicher. Aber dann ist sie ein Teil von uns. vielmehr noch als vorher, denn den Tod haben wir dann alle in unserem Leben gegrüsst, tragen ihn in unserem Herzen. Sie schlagen im Todestakt, pumpen Blut um es zu geben, halten still um es zu nehmen. Das verbindet uns. Wir müssen gleich beginnen, denn ihre Kraft lässt nach. Aber sie ist wirklich stark, verdammt stark. Sie hat mit keinem Wort gelogen. Deshalb gehört sie auch zu uns. Und die Götter sehen sie und auf uns. Sie werden uns nicht trennen.  Sie können uns sie nicht entreissen, denn sie gehört uns." Dann schlug sie mit der Faust auf eine Schale, das sie zersprang. Nawatu betrachtete das ausgeprägte Muskelspiel in Belites Armen. Es war als würde sie ein Schwert im Kampfe halten. Sie hielt es für besser den Mund zu halten und blieb stumm. Nach einer kurzen Pause und einem kräftigen Durchatmen fuhr Belite fort: "Den Brei müssen wir etwas ruhen lassen wie einen Teig. Die Masse werden wir verstreichen, sie wird dann fest und trocken. Dann müssen wir sie beträufeln mit dem Öl. Das Gelee tragen wir vorher auf. Es reinigt ihre Wunde. Die Masse haftet auch sonst nicht. Lass uns alles vorbereiten und zu ihr stellen. Ich werde alles in Licht tauchen wie in einer heiligen Zeremonie. Dann werden wir sehen. Die Wirkung sollte rasch einsetzen. Halte sie besser fest, denn ich weiss nicht, was passiert." Sie schob die Täfelchen beiseite, bereitete in einem kleinen Gefäss noch eine Tinktur zu, dann verrührte sie mit ihren Fingern den Inhalt in der grossen Schale, sodass sich die Klumpen im Brei auflösten und die Masse weich und träge wurde. Ihre Finger wurden darin heiss, aber ihre Haut war wie von Eis benetzt. Und es roch nach Minze, so wie in den Todeszelten des Clementius. Ein frostiger Schauer lief über Belites Rücken. "Oh Wehe ! Bei Mitra! Ich warne dich, fordere mich nicht heraus. Oder ich rufe ich dich aus dem Jenseits zurück, dann folter ich dich ein neues ganzes Leben lang." Sie atmete noch einmal tief durch, doch es war noch ein anderer seltsamer Duft darin, der anschwellend dann alles überlagerte, den anfänglichen Minzduft verdrängte, sie beide fast betäubte. "Los, bevor wir beide umfallen." Nawatu rannte nun mit den Schalen mehrmals zum Lager, dort wo Turiya lag und zurück während Belite die bengalischen Fackeln hervorholte und entzündete. Nawatu stellte sie dann an geeigneten Orten in der Höhle auf. Die Höhle war nun in ein magisches Lichtspiel versetzt, blau, rot und grün und gelbes Licht bewegte sich in einem ringenden Farbenmeer und jede Farbe kämpfte um die Übermacht.    

Belite richtete sich vor dem Feuer mit der Schale in den Händen auf, streckte sie in die Luft und rief. "Bei Mitra, wenn dies ein Fluch ist, dann verfluche mich, töte mich mit deiner heiligen Flamme! Nimm mich an ihrer Stelle, wenn es dir beliebt ins Reich der Toten. Wenn es aber kein Fluch ist, dann schenke Turiya das Leben. Zu deiner Erbauung, denn eine heilige Kriegerin, die für dich streitet und ihr Mana sovielen Kriegern gab, sag, wo findest du sie jemals wieder ? Bei Mitra, geb sie uns zurück!"
  
Sie begannen nun Turiyas Körper zu übergiessen, um alte Wundreste und Verschmutzungen zu lösen und wegzuspülen. Turiya wirkte leblos, reagierte nicht. Dann richtete Belite den Oberkörper Turiyas auf. Nawatu spülte ihren schlimmen Rücken, verteilte überall das Gelee und begann auch die übel zugerichteten Brüste vorsichtig zu besteichen. Sie schauten sich sprachlos an. Doch sie liessen sich nicht beirren. Nawatu rannen bereits wieder die Tränen herunter. Turiya kippte manchmal hin und her, mal senkte sich der Kopf, mal fiel er zur Seite oder leicht in den Nacken. Sie schien völlig weggetreten. Der teigige Brei, den sie schliesslich auch verteilt hatten, klebte wie eine zähe Masse und verfärbte sich grau und Belite wiederholte den Vorgang, dann nach einigen Malen der Wiederholung und den Pausen wurde er weiss und gipsig hart. Es war viel Zeit vergangen. Beide schauten sich wortlos an. Sie waren fertig. Und selbst ein wenig verschmiert. Die Masse legte sich wie ein gipsartiger Mantel um Turiyas geschundene Brüste, den Armen und ihren Oberkörper. Keine Wunde riss auf oder blutete. die letzten Reste verteilten sie, wo sie es konnten. Jetzt benetzte Belite die Lippen Turiyas mit wenigen Tropfen der separaten Tinktur. Schliesslich auch die Schläfe und den Puls an den Handgelenken. Turiya zuckte, doch bei Bewusstsein schien sie nicht zu sein. Sie legten ihren Oberkörper erst nieder, als die Masse wie ein weisser Mantel verfestigt und wie ein Korsett ausgehärtet war. Das dauerte eine ganze Weile. Dann beträufelte Belite den Oberkörper Turiyas mit der Tinktur. Dampf stieg von diesen Stellen kreisend auf. Mit dem darauffolgenden Ölgemisch wurde dieser abgelöscht. "Dieser Brei wird später hart, wir müssen ihn täglich befeuchten mit reinem Wasser vom Gletschersee am besten," liess Belite noch wissen. Belite richtete Turiyas Kopf nach oben und träufelte erneut einige Tropfen in ihren Mund hinein. Turiya hustete, ihr Kopf fiel leicht zur Seite. Dann begann die weisse Hülle wie schwelend von überall her zu dampfen und diese Dämpfe breiteten sich immer weiter aus, umhüllte sie nun alle wie neblige und schwere Schwaden mit einem beissenden unbeschreiblichen Geruch. Beide wurden träge und ihre Sinne trübten sich. Während Nawatu zunächst im Schneidersitz aushielt und langsam in sich zusammensackte, lehnte Belite sich zurück an einem Stein, doch auch sie wurde wie ohnmächtig von Müdigkeit überwältigt und dämmerte in Träumen versunken dahin. 

“Geb sie uns zurück!” Belite riss aus ihren Träumen auf, hörte sich selbst rufen. “Geb sie uns zurück!”

Sie blickte in die glänzenden Augen Nawatus. "Sie schnarcht." "Was?" "Sie schnarcht",Nawatu kicherte und hopste von einem Bein auf das andere, zeigte zu ihr. Dann machte sie sie nach. "Sie schnarcht ?" erwiderte Belite und richtete sich auf. "Ja, sie schläft, wie seit Tagen nicht so ruhig." "Seit wann schläft man ruhig, wenn man schnarcht ? Aber gut, lassen wir das. Das überfordert deinen Verstand." Nun schauten beide gemeinsam zu Turiya hinüber, begutachteten ihr Werk. Turiyas Gesicht war völlig entspannt und sanft, mal abgesehen von den verfärbten dicken Schwellungen. Keine Schweissperlen mehr, keine nervösen Zuckungen. Sie schnarchte laut. Dann strichen beide über den weissen Mantel, der den Oberkörper umschloss und bereits ganz fest war. "Ich glaube, dieser Mantel saugt alles aus ihr heraus - die ganze Entzündung, das ganze Gift und führt dem Körper die Heilstoffe zu, die in seinem Gips enthalten sind. Sieh, hier hat er eklige Flecken, dort wo die schwersten Stellen waren. Und wie er deshalb riecht und das Unheil aus ihrem Körper entweicht." "Sie hat auch kein Fieber, kein Schüttelfrost mehr," fügte Nawatu wie übereifrig hinzu, küsste Belite auf die Schläfe. "Es hat wirkt. Du hast sie gerettet." "Aber, Nawatu, das wissen wir doch noch gar nicht." "Doch, ich weiss es." "Und wie sie schnarcht, wie ein Krokodil." Belite hielt es nun auch nicht mehr, mochte nicht drüber nachdenken, ob Krokodile schnarchen konnten. "Nawatu, sie lebt, weil du nicht aufgegeben hast. Was ich tat, war erst durch dich möglich, sonst hätte ich gar keine Zeit gehabt darauf noch zu kommen." Sie freute sich jetzt auch, schob ihren Verstand beiseite und beide lachten ausgelassen wie erlöst, erst leicht, dann sich steigernd, so als würde ein schwerer Kampf beendet sein, fielen sich schliesslich überglücklich in die Arme. 









Xoxo. Die Cimmererin. III - Begegnung


Der Nadelwald lag vor ihnen, ausladend und herunterfallend von den breiten Schultern der emporragenden Berggipfel. Dazwischen zwängte sich eine saftig grün bewachsene Gletscherzunge, die nach mehreren hundert Metern in einer Senke mündete, in dessen Mitte ein tiefdunkelblauer See als Quelle einen flachen und schmalen Bach speiste, der von dort schlängelnd seinen Anfang nahm, um hinter einem Fels unterirdisch in einer Nebelhöhle als glitzernder See zu versinken, danach als tosender Wasserfall in schwindelnder Höhe steil herabzurauschen und sich als fruchtbarer lebensspender Fluss hinab auszubreiten - ins weit entfernte und versteckte Tal, in dem sich ihre Siedlung befand. Sie hatten mit dem Abstieg begonnen und Xoxo schaute noch einmal den Hang hinauf zu ihrer Höhle. Doch sie war schon nicht mehr zu sehen. Dafür aber der terassenförmige Felssims, hinter dem eine steile Wand wie ein Portal alles überragte. Sie strahlte für einen kurzen Moment. Ihre Höhle war so unweit vor fremden Blicken gut versteckt. Niemand konnte ahnen, was sich dort verbarg. Sie war stolz diesen sicheren Platz damals ausfindig gemacht zu haben.

Sie durchschritten nun die lange Rinne mit stark überwucherten Geröll zwischen den Waldstücken und trafen auf die saftig grüne Wiese der alten Gletscherzunge mit dem kleinen See. Immer wieder erhoben sich vereinzelte Steinansammlungen. Sie wanderten nun eine Biegung entlang und brauchten dem Bachverlauf nur folgen. Dieser wurde nur einmal zwischen zwei aufeinandertreffenden Steilhängen unterbrochen, wo dieser unterirdisch verschwand, um später dahinter wieder als kleiner Wasserfall aufzutauchen. Sie zwängten sich durch diese felsige Klamm hindurch und die beiden Maultiere verhielten sich mitunter etwas störrisch, aber blieben willig und liessen sich doch gut führen. Hinter der Klamm brach ein erhebenes und zauberhaftes Panorama auf. Sie hielten wie immer, wenn sie diesen Weg nahmen, für eine Weile ein. Vor ihnen lagen zwei Täler zwischen den Bergen und direkt vor ihnen führte ein steiler Abstieg in ein schmales dicht bewaldetes Kerbtal, dass sich im Verlauf des breiter werdenden Baches sohlenförmig ausbreitete. Je breiter es wurde, desto weicher war der Bewuchs, geprägt von Buschwerk körperhoher Wildgräser und vereinzelt herausragenden Bäumen. Xoxo war bis zu den Schultern verdeckt während ihre Gefährten mit den Oberkörpern klar herausragten und weithin sichtbar waren. Die Bäume fehlten zum Ende ganz im Gegensatz zu den steilen Hängen, die dicht bewachsen waren. Hatte man dies durchschritten, stand man vor einer Verzweigung, die in einer Wendung zu dem jeweiligen Tal hinab führte. An dieser noch entfernten Stelle war die Hälfte des Weges erreicht.

Sie unterhielten sich ausgelassen, doch plötzlich war es Xoxo, die innehielt. Sie schien eine Witterung aufzunehmen. Es hiess, sie hätte den Spürsinn der Säberzahntiger übernommen, sich ihrer Seele bemächtigt, als sie sie bezwang und ihre Herzen ass, konnte Gefahren über sehr grosse Entfernungen ausmachen. Sie verharrten eine Weile, aber es war nichts zu sehen, keine auffällige Bewegung. Nichts. Sie zeigte auf eine weit entfernte buckelige Stelle an den Seitenwänden des linken Hanges. Es war eine frische Rutschspur, die bis zu den Gräsern führte. Das Gras war dort zu einer Ausbuchtung niedergedrückt. Eine Fallstelle und von dort ins Wildgras hinein und man sah an den Spitzen immer wieder Knickungen. Ihr Arm folgte dem Verlauf. "Da!" Und stoppte, wo die Spur endete. Es war klar, ein Tier war es nicht. Sie näherten sich nun langsam und auf der Hut bis zur Rutschspur, teilen sich aber nicht auf, blieben zusammen. Dort angekommen, betastete Wallax den Boden. Xoxo ging der Ausgangsspur folgend noch etwas weiter hoch, kam wieder zurück. "Überall geknickte Zweige. Auch Blut auf dem Boden und an den Ästen. Menschenblut." "Die Fremden!" stiess Wallax, schnüffelte an der Erde in seiner Hand. "Höchstens einer und auf der Flucht," fügte Xoxo trocken zu. Dann rief Xenay: "Seht." Er stand dort wo die Rutschspur mit einem Aufprall geendet hatte. Auf dem abgesprengten weichen Erdboden war ein Fussabdruck zu sehen. Chimir stellte seinen Fuss daneben und lachte auf: "Entweder ein Buschmann oder Kinder, aber die Eindringlinge sind doch riesengross. Angeblich noch grösser als wir." Beolg sagte dann: "Ein entflohener Gefangener vielleicht." Xoxo nickte schweigend. "Von uns ist es jedenfalls keiner. Er hat Angst, auch vor uns." stellte Beolg fest. "Hat sich ins Wildgras verkrochen und wartet auf die Jäger." "Und auf den Tod!"ergänzte Wallax. Wallax nahm seinen Bogen, spannte ihn. "Oder eine Falle ?", schaute verschmitzt in die Runde. "Schnapp, schnapp," Chemir grinste, kratzte sich am Nacken, doch eine Hand fasste kurz an den Axtstiel, rückte sie zurecht.

"Die Vögel sagen das nicht. Auch der Wind trägt mir nichts herüber. Aber was ich spüre, ist unermessliche gefrorene Angst. Diese Seele ist von Angst zerfressen. Hinter ihr liegt das Lied der Qualen. Deshalb versteckt sie sich. Wartet auf ihr Schicksal. Wie das gestellte Wild, das die Wölfe erwartet. Wartet auf den Tod." "Die Frage ist nur, ob wir ihr Schicksal sind oder ob noch eine andere Gefahr hier lauert - auch auf uns ?" hakte Wallax nach. "Naja, die Verfolger werden bald auftauchen, sofern es sie gibt," sagte Beolg kühl. "Wir ziehen jedenfalls weiter. Wir werden sie auf dem Schlachtfeld begrüssen. Sie sickern sowieso überall ein." Xoxo schaute weiterhin in die Richtung, wohin die Spur der verbogenen und abgeknickten Halme führte, erwiderte darauf ohne ihre Haltung irgendwie zu ändern. "Und wenn der Flüchtling etwas weiss, was uns weiterhelfen könnte. Uns etwas über unsere Feinde verrät, um ihre Stärke zu brechen?" "Xoxo, wenn der so dumm ist, wie er sich hier in der Wildnis verhält, dann kann ich auf seine Ratschläge gut verzichten." Wallax grinste und wühlte mit seinen Fuss im Sand. Er kannte Xoxo. Sie würde gehen, ob nun allein oder mit ihnen. "Ich gehe und schaue nach. Dann sehen wir, was es auf sich hat und ob es sich für uns lohnt." Wallax und Chemir stimmten ihr zu, auch Xenay nickte. "Gut, viel Zeit haben wir aber nicht. Mach schnell Xoxo. Und lass den Kopf für Wallax übrig." Sie ging nun den Hang ganz hinunter und verschwand schnell im hohen Gras. Nur ihr rotbrauner Haarschopf war noch zu sehen. Es war von der Gruppe aus eine Zickzacklinie, den ihr Gang beschrieb bis sie einen Bogen machte und nur etwa hundert Meter von ihnen in der Mitte zum Stehen kam. Sie blieb dort eine Weile stehen. Es gab keine Kampfanzeichen. Dann verschwand ihre Gestalt ganz. Sie guckten sich an. Plötzlich hörten sie ein kurzes Aufschreien. Es war eine schrille Frauenstimme. Und wieder. "Ihr bleibt bei den Maultieren," rief Beolg zu Chemir und Xenay. Dann rannten Wallax und Beolg los. Sie eilten in grossen Sätzen durch das Gestrüpp. Doch Xoxo winkte ihnen bereits wieder zu und gab Zeichen sie sollten sich zurücknehmen. "Sie hat ihn, ich quetsch alles aus ihm raus,"raunzte Wallax. Schliesslich kamen sie vor den beiden zum Stehen und schoben das hohe dichte Gras beiseite.    

Rasch verfolgte Xoxo die Spur, war derjenige doch so ungeschickt und unachtsam. Auch wenn dieser im Zickzack sich im Gras hin und herbewegt hatte, sprach dies mehr für Orientierungslosigkeit als für jemanden, der verwirren wollte. Oder für jemanden, der mit der Natur und der Wildnis nicht vertraut war. Der Fremde war nur noch wenige Schritte entfernt. Xoxo lauschte noch einmal völlig regungslos. Sie spürte nun die Nähe der fremden Gestalt und ihren Angstschatten, doch das Gras war so dicht, dass man nichts erkennen konnte. Dann gab ein Windzug, der über die Spitzen der Wildgräser streifte und manchmal Furchen darin zog für einen Augenblick die Sicht ins Versteck frei. Die Fremde hockte mit den Beinen fest angepresst und mithilfe ihren dünnen Arme fest umschlungen seitlich von Xoxo abgewandt. Sie blickte starr hinaus, dorthin wo ihre Gefährten warteten und man ihre Stimmen hören konnte, nahm Xoxo überhaupt nicht wahr. Sie hatte kurze zerzauste struppige kastanienfarbene Haare. Ihre Haut war fremdländisch braun, wie trockener Schlamm, so wie Xoxo es nur einmal gesehen hatte in den Grenzgebieten Stygiens. Die Fremde hatte eine Hakennase. Ja, es war eine Stygierin keine Frage. Sie war völlig nackt, sehr klein und zierlich, war aber dazu noch stark  abgemagert. Ihre Rippen schienen deutlich an der Seite durch und auch die Wirbel auf dem gekrümmten und von Peitschenstriemen gezeichneten Rücken. Man konnte alte vernarbte und frische Striemen von Stock- und Peitschenhieben erkennen. Xoxo war sich im Klaren, sie könnte ihr mit einem einzigen Tritt den Rücken brechen. Die Fremde war keine Gefahr, völlig wehr- und hilflos, zitterte am ganzen Leib. Wenn Gefahr drohte, dann von ihren Verfolgern oder ihren eigenen Gefährten. Der Wind legte sich und Xoxo preschte vor, kam direkt vor der Fremden zu stehen. Die Fremde rührte sich nicht, zitterte und der Angstschweiss lief ihr am ganzen Leib herunter, den sie fest umklammerte und ihren Kopf hatte sie nach vorn auf den Boden starrend gestreckt. Sie bot Xoxo auf diese Weise ihren ausgestreckten Hals offensichtlich zur Enthauptung dar. Es war das Zeichen der vollständigen Unterwerfung. Sie atmete laut und heftig, schluchzte dabei und erwartete Schläge, Peinigung und ihren nahenden Tod. Ihr Hals hatte tiefe Wund- und Würgemale einer Fesselung, ihre Hand- und Armgelenke auch. Ihre Füsse waren blutig aufgerissen, ihr ganzer Körper zerschrammt und von blauen Flecken übersäht, von den Zweigen, Büschen an denen sie vermutlich wie panisch hindurchgerast war. Xoxo legte ihre Axt langsam und ruhig auf den Boden. Und grübelte, welch stygische Brocken sie noch beherrschte. Ohne weiter nachzudenken, lag ihr ein Ausspruch bereits auf der Zunge, weil er melodische Ähnlichkeit hatte mit einem cimmerischen Gesang. Ja, den würde sie verstehen, wenn sie wirklich eine echte Stygierin war: "Keine Finsternis ist dem Kummer gleich. Erlischt die Seele in der Trauer, so brennt sie in der Todesflamme und im dunklen Rauch zieht sie über das weite Land. Heil dir, der du verletzt und lebend bist." Stille. Sie regte sich nicht, aber für einen Augenblick zitterte sie nicht mehr. Sie hatte verstanden. Xoxo betrachtete den Tränenfluss, der an den schmalen dürren Beinen der Stygierin in der Sonne glänzend herunterlief. "Ihr sprecht stygisch?" murmelte die Stygierin, noch immer zum Boden gewandt. "Ja, aber nur einfache Brocken der ländlichen Bevölkerung im Grenzgebiet." "Was ihr sagtet, ist aus einem uralten und heiligen Gedicht. Woher wisst ihr ?" Sie hustete. Dann bückte sich Xoxo, ging in die Knie und fasste sie leicht an den Schultern. Die Stygierin erschrak, schrie auf. Doch als nichts weiter passierte, verstummte sie sofort. Sie hatte offensichtlich nur Angst vor jeder Berührung und immer wieder um sich schauend vor den Verfolgern. Xoxo hob sie hoch. Beide standen nun sich gegenüber und ihr Zittern am ganzen Körper setzte wieder ein. "Schau mich an", sagte Xoxo. Sie riss ihren Kopf hoch als wöge er sehr schwer, schnaufte dabei und das Zittern setzte wieder ein. Ihr Kopf reichte Xoxo gerade einmal bis zu ihren üppig ausladenen Brüsten. Die Stygierin war kein Kind, sondern eine erwachsene Frau. Sie war dürr, ihre Rippen schienen durch und ihre Brüste waren erschlafft, zogen Falten. Sie war in einem schlimmen Zustand und würde allein sicher nur noch wenige Tage überleben sofern nicht Raubtiere sie nicht vorher entdeckten. Ihre dunkelbraunen fast schwarzen Augen hatte sie weit aufgerissen, waren völlig glasig und blutrot unterlaufen. Salzige Tränen rannen vereinzelt wie Kristalle die Wangen herab. Ihre spröden rissigen Lippen wipperten zusammengepresst wie bei einem Fieber. Sie rang um ihre Würde und um ihre Selbstachtung blickte nun Xoxo direkt an. Für einen Moment blieben ihre Blicke an der grossen dicken Narbe neben Xoxos Busen hängen. Xoxo war von ihrem Ringen um Haltung tief beeindruckt. Sie war unglaublich stark. Wieviele Gefangene hatte sie schon gesehen, sie hätten niemals den Mut gehabt ihr in die Augen zu sehen, meist nur unter Anwendung von Gewalt. Und ihr Blick, zwar völlig verzweifelt und ausgeliefert, aber darin war noch immer ein kleiner Rest Stolz und Würde sowie Mut und Entschlossenheit verborgen. Man hatte sie fürchterlich erniedrigt, aber nicht endgültig gebrochen. Sie würde sich davon erholen mit der Zeit. Sie mußte eine Städterin, vermutlich aus einem Tempel oder einem Palast sein, stammte der Statur nach sogar aus der Oberschicht, doch ihr abgemagerter Zustand liess nur eingeschränkt Rückschlüsse zu. Schwere körperliche Arbeit kannte sie sicher nicht, aber sie mußte unglaublich zäh sein, was zu allem gar nicht passte. So dünn und geschwächt konnten sich viele andere kaum auf den Beinen halten geschweige denn noch laufen, aber sie hatte es bis hierher getan. Und hier war offensichtlich Endstation. so schien es als wartete sie hier wie ein gejagtes Reh auf den reissenden Jäger. Sie zitterte unentwegt am ganzen Leib und der Schweiss lief an ihr unaufhörlich herunter. Xoxo blickte sie noch immer scharf einschätzend, aber nicht wütend an. Überlegte, was sie tun sollte. Eine gottverdammte Stygierin. Eine Katastrophe. Die Fremde rührte sich nicht, bemühte sich fest und aufrecht vor ihr zu stehen, wankte dabei sicher wegen schwindener Kräfte. Sie war so selbstbewusst und so verloren. Fast alle anderen wären auf der Stelle zusammengebrochen, würden betteln und flehen. Sie tat es nicht. Xoxo gefiel das sehr und war sich nun absolut sicher, dass die Stygierin keine einfache Dienerin oder Sklavin eines Palastes war. Warum sollte man sie sonst auch noch durch diese Wildnis jagen ?  Einen wertlosen Sklaven bestimmt nicht, der höchstens ein Fressen für die Krähen und Würmer war, denn es wäre ihr völlig neu, dass ein Stygier in der cimmerischen Wildnis je überlebt hätte. Tiefe blutunterlaufene Scheuer-, Schlag und Würgemale hatten ihre Spuren hinterlassen. Auch ihr rechter Oberarm wies solche Stellen auf. Man hatte sie sicher sehr häufig vergewaltigt und geschlagen. Ihr schmaler Brustkorb schien pausenlos vom rasenden Herzschlag zu erzittern. Sie hatte solch verdammte Angst, war sich zunehmend unsicher, ob Xoxo sie nun doch noch töten würde. Cimmerer waren aus ihren Erzählungen das Schlimmste, was sich Stygier vorstellen konnten. Xoxo mußte ein solcher entsetzlicher Anblick gewesen sein in ihrer cimmerischen Wildheit, weiblich kräftigen Üppigkeit und ihrem starken von Muskeln durchzogenen Körper. Die Stygierin betrachtete ihre Muskeln, die auch ihren Bauch wellig durchzogen, wenn ihr Bauch spannte wie bei einem durchtrainierten Krieger. Aber sie war eine Frau. "Sag, wie willst du hier überleben ?" Die Frage war für die Fremde völlig verwirrend, sie hielt sie für eine Falle, für ein Ablenkung. Ihr Herz raste jetzt und sie atmete immer heftiger und nach Luft schnappend. Xoxos Miene war kalt und ernst ohne Ausdruck, ohne Regung, aber auch ohne Hass. "Wir töten dich nicht. Auch wirst du nicht versklavt. Ich wiederhole es, hast du gehört ?" Die Stygierin schluckte, als würde sie einen Kloss herunterwürgen und nickte dann heftig. "Wir - töten und versklaven - dich nicht." Die kleinwüchsige Stygierin regte sich ab, fuhr langsam herunter.aber es hinderte sie etwas sich ganz zu beruhigen, schaute auf den Boden und zur Seite in die Ferne schweifend. Dann stammelte sie hervor: "Ich weiss nicht. Wir werden alle sterben. Sie werden gleich hier sein. Ich werde sterben. Und ... Ihr auch." "Ich sterbe nicht. Und du auch nicht, wenn ich es doch sage. Es wird dir nichts geschehen. Stell dich hinter mir. Warte ab und sei still." Sie wandte der Fremden den Rücken zu und fragte sich, wie das alles enden würde. Ihre Entscheidung hatte sich schicksalhaft auf ihre Lippen gelegt. So war es gesprochen. Dann winkte sie ihre Gefährten heran, die sie bereits kommen hörte und jetzt vor ihr zum Stehen kamen.

"Xoxo, was soll das ?" fragte Beolg aufgebracht. Neben ihm baute sich der riesige Chemir auf. Wallax und Xenay standen hinter ihr, griffen nach der kleinen Stygierin, die sich nun an Xoxo verzweifelt festklammerte und die Augen mit dem Kopf nach unten schloss. "Ihr macht ihr Angst, sie ist wehrlos und auf der Flucht vor unseren Feinden." Sie konnte nicht weitersprechen, denn es brach aus Wallax heraus: "Mann, seht euch das an, eine stinkende Stygierin. Und Xoxo beschützt sie." Er spuckte aus, wollte sie Xoxo fortreissen, doch sie drehte sich herum, wich ihm dann flink aus und ging einen Schritt zur Seite. "Lass sie in Ruhe," fauchte sie Wallax an. "Eh, was ist, diese kleine Hexe, ich zerhack sie in Stücke und häng sie für die Raben auf." "Nein, das wirst du nicht. Sie gehört mir, ich habe sie gefunden. Sie ist hier in der Wildnis und frei. Ich nehme sie mit in meine Höhle. Sie unterliegt weder Gesetzen des Dorfes, noch des Stammes, denn seine Grenzen reichen nicht bis dorthin. Deshalb lebe ich dort. Aber wir sehen uns auf dem Schlachtfeld, ich werde cimmerisches Blut nicht entehren. Und sie wird uns vielleicht verraten, wer die Feinde sind. Kenne den Feind besser als dich selbst, dann wirst du siegen." Es herrschte langanhaltenes eisiges Schweigen. "Beolg, du weisst, was mir in Stygien geschah, es waren Stygier, die mich gerettet haben. Einfache Nomaden. Es sind Menschen. Mit der Brut Sets und ihren schrecklichen Herrschern haben sie nichts zu tun. Viele von ihnen sind Sklaven. Ich gebe zurück, was sie mir gaben, so ist es Brauch." Beolg atmete tief durch, dann nickte er langsam, gab Wallax und Xenay, die von neuem nach der Fremden griffen und die sich um Xoxo hektisch herumwand, ein unmissverständliches Zeichen. Dabei knurrte er laut wie ein Bär. "Schluss jetzt." Sie hielten ein. "Scheiss Weiber ! Beolg, eine Stygierin bringt uns nur das Elend und Seuche." "Ja ? Wirklich ?"  Das ist doch eine verkrüppelte Vogelscheuche. Sie kommt nicht in unser Dorf. Steck sie von mir aus in deine verdammte Höhle. Mir egal. Bring sie aber niemals ins Dorf. Guckt sie dir an. Nur Haut und Knochen. Die frisst dir alle Vorräte weg. Am ende wird sie dich im Schlaf meucheln, vollgefressen von deinem Hab und Gut. Zeig sie mir. Mach endlich Platz. Er deutete, die andern zu sich heran, sodass sie ihn zu beiden Seiten umsäumten. Er wollte sie nur sehen. Von Angesicht zu Angesicht. Xoxo drehte sich ihr zu, dann schob sie sie nach vorn. Schubste sie. Sie schaute mit gekrümmten Nacken auf den Boden, zitterte wie vorher am ganzen Leib. Xoxo wisperte ihr zu:"Schau ihn an." Sie reichte ihnen mit dem Kopf nur bis zum Bauch und schaute rasend vor Angst in ihre Gesichter, in die düsteren Mienen hünenhafter kriegerischer Cimmerer, deren schweissöliger und lederner Körpergeruch wie eine Beize in ihre feine Nase stieg. Der massige Chimir wirkte mit seiner wilden Behaarung wie ein bäriges Ungetüm auf sie. Obwohl Xoxo sie festhielt, zitterte sie immer stärker am ganzen Leibe, japste nach Luft, es schien als würde ihr Atem stocken, dann begann sie zu urinieren. Den mächtigen Gestalten und ihren grimmigen und wütenden Blicken hielt sie nicht stand. Das Trauma der Torturen, die sie überstanden hatte, brach über sie ein, so als würden sie von neuem beginnen. Sie begann noch während sie urinierte zu ventilieren, dann kippte sie um.

"Mann ist die fertig, pisst hier rum wie Sau," Wallax feixte, schüttelte den Kopf dabei. Die anderen auch. "Viel Spass mit ihr, Xoxo. Am Ende kriegste die Maul- und Klauenseuche und läufst vor Mäusen weg. Miau !" Jetzt gröhlten alle vor Lachen, nur Xoxo nicht, sie fühlte Wut in sich aufsteigen über soviel Stumpfsinn, Stumpfsinn der tötet und erst danach die Fragen stellt, aber ja, sie war nichts anderes gewohnt von ihnen. Sie wandte sich gereizt zu Wallax um:"Sieh mich an, Wallax, sagt dir der Name Reallia was ? Ja ? Schon vergessen ? Niemand hätte damals jemals daran gedacht, dass sie heute als stumme Magd ihren belanglosen Dienst verrichtet. Es heisst, sie wischt den Dreck und die Kotze der Säufer mit ihren Tränen auf, wenn sie ihre Krämpfe kriegt. Und weil, niemand, der sie nicht kennt, glauben würde, dass sie einst die stärkste Kriegerin des Stammes war. Und nur deshalb lebt sie noch heute. Sie hat ihren Preis gezahlt. Und niemand im Dorf hat je eine grössere Summe an den Feind aufgebracht. Wallax, sag mir, wie sie aussah, als wir sie fanden, wieviel Zeit sie bei den Schamanen und Heilern verbrachte und was von ihr noch übrig ist!" Wallax schaute auf den Boden, dann schweifte sein Blick in die Weite zu den Abhängen hinauf. "Los sag es mir ..." "halt dein verfluchtes Maul, sei still du Hure, sie verdient es nicht mit einer stygischen Hexe verglichen zu werden. Sie ist stinkender Abschaum." "Hör auf Xoxo, das kannst du nicht vergleichen, genug," Beolg hielt seinen Arm vor Wallax. Selbst Chimir stampfte, von einem Bein auf dem anderen. "Schön, dass ihr euch erinnert. Und lange Zeit lief sie in Ziegenfellen herum, wie eine Bäuerin, um ihr geschändetes Anlitz zu verdecken, wie eine Leprakranke habt ihr sie laufen lassen bis sie von mir ein federweich gefüttertes Fell eines Schneeleoparden erhielt. Keines ihrer unzähligen Wundmale riss seitdem auf. Sie trägt es selbst in der Hitze, weil sie auch im Sommer friert. Vor ergreifender Dankbarkeit umarmte sie meine Beine, fiel auf die Knie, wie eine Bettlerin. Das habt ihr aus ihr gemacht." "Schluss jetzt", raunte Beolg ein letztes Mal. Den drängenden allmählich aufkochenden Wallax hielt er zurück. Zwischen Xoxo und Wallax passte kein Blatt. Xoxo wandte sich abrupt ab, beugte sich über die Stygierin. "Los, gebt mal was zu trinken her, ihr cimmerischen Hurensöhne," ihr Ton war wieder kumpelhaft, streckte frech und fordernd ihren Arm in Richtung Wallax aus. "Oder soll sie von eurem miesen Anblick sterben ? Ich habe immer gesagt, ihr seht sowas von potthässlich aus, dass die Milch versauert." Sie grinste neckisch, lachte für alle hörbar in sich heinein. "Was ist nun, soll mein Arm auch noch abfallen ?" Und tatsächlich nach einer Denkminute reichte Wallax ihr mit ausdrucksloser Miene seinen Trinkbeutel rüber. Der Streit war weggewischt. "Ich hoffe, das Zeug ist nicht vergiftet, das wäre eines Barbaren bei Crom nicht würdig. Sowas kenne ich nämlich nur aus Stygien ..." Jetzt lachten sie alle zusammen. "Aquilonien hast du vergessen," fügte Beolg hinzu.Man durfte sie nicht ernst nehmen mit dem, was sie sagten. Das einzige was zählte, waren ihre Taten. Und man mußte sie manchmal zurückholen, dorthin, wo die Wahrheit so hart und kalt war, wie Granit im Schatten. Sie träufelte der ohnmächtigen Stygierin nun den Beerensaft ins Gesicht und sie kam zu sich, blickte Xoxo wie aus weiter Entfernung an. In ihren Augen funkelte es kurz, wie in einem Diamant. Xoxo hob ihren Kopf mit einer Hand und sie trank nun, erst einzelne Schlucke, dann hastig. Sie war durstig, wie ausgebrannt, ausgehungert auch, war viele Tage unterwegs. Sie hatte sich ihrem neuen Los ergeben.

Es grenzte schon an ein kleines Wunder, ihren Häschern solange entkommen zu sein, so abgemagert und geschwächt wie sie war. Und warum hatten sie die Wölfe nicht gerissen ? Sie roch doch verdammt nach Blut. So dumm konnte sie also nicht sein. In einer Wildnis, von der sie überhaupt gar keine Ahnung hatte, dem sicheren Tod entronnen zu sein. Die Art ihrer Begegnung wies Xoxo innerlich unmissverständlich darauf hin, dass die Stygierin nicht die Absicht hatte, wie Reallia zu enden. Sie war verdammt stolz und zäh. In keiner ihrer Regungen fand sie Unterwürfigkeit - nur panische Angst und Entsetzen. Sie würde schon bald erfahren, wer die Stygierin war, was die Feinde ihr antaten, wer sie waren und wie sie kämpften. Und vermutlich würde sie die Cimmerer eines Tages noch überraschen.  

Sie war nur am Ende ihrer Kräfte, über lange Zeit misshandelt und ausgezerrt - sonst nichts. 




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